Weniger klimafreundlich als versprochen? BMW und die allzu schöne Geschichte vom CO2-freien Aluminium

Zu viel versprochen? Der BMW-Konzern, hier die Zentrale in München, will seine Produktion klimafreundlicher machen. Zumindest beim Aluminiumeinkauf lassen sie die Ankündigungen wohl schwer umsetzen. Quelle: dpa

Der Autobauer verspricht eine radikale Senkung seiner Emissionen durch ein neuartiges Verfahren aus Kanada. Doch das steckt noch in den Kinderschuhen.

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Generationen von Kindern in Saguenay, weit oben im Norden der kanadischen Provinz Québec, wuchsen mit der Geschichte auf: Rio Tinto ist die Fabrik, wo die Wolken gemacht werden. Eine Lüge natürlich, aber eine von den harmlosen, die von der Sorte Weihnachtsmann. Dachten zumindest die Eltern hier, die ihre Kleinsten auf die breiten Schlote mit den weißen Fahnen von Wasserdampf des Aluminiumproduzenten aufmerksam machten.

Bis der staatliche Rundfunksender CBC/Radio Canada vorigen Herbst darüber berichtete, dass die Menge an Schwefeldioxid und Feinstaubteilchen, die aus den anderen, schmaleren und höheren Schloten des 1954 errichteten Werks Arvida im gleichnamigen Stadtviertel nach wie vor um ein Vielfaches höher ist als die regionalen und erst recht die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Als wichtigster Arbeitgeber und Steuerzahler in der Region, das erfuhr das Fernsehpublikum auch, hat Rio Tinto trotz Warnungen der Gesundheitsbehörden eine Ausnahmegenehmigung.

BMW will CO2-reduziertes Aluminium aus Kanada beziehen

Die Erzählung des deutschen Autoherstellers BMW klingt anders: „Die BMW Group arbeitet weiter konsequent an der Reduzierung der CO2-Emissionen in der Lieferkette,“ teilte das Unternehmen am 21. Februar 2023 in einer Aussendung an die Presse mit. „Ein besonderer Fokus liegt dabei auf CO2-intensiven Materialien wie Aluminium, Stahl und Kunststoff,“ heißt es – und: „Deshalb will die BMW Group ab 2024 stark CO2-reduziertes Aluminium von Rio Tinto aus Kanada beziehen und hat hierfür eine Absichtserklärung unterzeichnet. Im Vergleich zu konventionell hergestelltem Aluminium spart das Verfahren rund 70 Prozent der CO2-Emissionen ein.“

BMW verweist im Folgenden ausdrücklich auf das „für die Aluminiumproduktion entwickelte Elysis-Verfahren“. Es „revolutioniert den zur Herstellung notwendigen Schmelzprozess,“ lobt der Autohersteller überschwänglich. „Das innovative Verfahren eliminiert alle prozessbedingten CO2-Emissionen durch den Einsatz kohlenstofffreier Anoden und konnte im Jahr 2021 erstmals erfolgreich auf Industrieniveau erprobt werden. Die BMW Group ist einer der ersten Serienkunden dieses Verfahrens.“

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Der Haken an der Sache: Rio Tinto ist weit davon entfernt, mit dem Elysis-Verfahren in Serie zu gehen. Die Technologie ist seit Anfang der Jahrtausendwende immer wieder als großer Wurf angekündigt worden, hat aber nie den Durchbruch geschafft. Der US-Aluminium-Hersteller Alcoa hatte das Vorhaben zwischenzeitlich sogar verworfen und sich dann zu dessen Entwicklung mit dem britisch-australischen Konkurrenten Rio Tinto zusammengetan. 

Verfahren voller Ungewissheiten

Traditionelle Aluminiumhütten arbeiten in der Regel mit Kohlenstoff-Anoden, die aus Petrolkoks bestehen – einem Nebenprodukt der Ölindustrie. Diese Kohlenstoff-Anoden werden bei der Produktion verbraucht und zu Kohlendioxid umgewandelt. Es entstehen zudem die extrem schädlichen Treibhausgase Tetrafluormethan und Hexafluormethan. Das Elysis-Verfahren würde mit so genannten inerten Anoden arbeiten. Statt Kohlenstoff würden andere Materialien verwendet, die während der Produktion nicht chemisch mit anderen Substanzen reagieren. Damit könnten die Emissionen also reduziert werden. Allerdings sind im klassischen Verfahren die Kohlenstoff-Anoden auch ziemlich effiziente Energielieferanten. Fallen sie weg, muss Energie anderweitig zugeführt werden.

Noch wenige Tage bevor BMW die Pressemitteilung veröffentlichte, betonte der Chef von Rio Tintos Aluminium-Sparte, Ivan Vella, am 17. Februar 2023 vor Journalisten in Saguenay, dass das Verfahren voller Ungewissheiten stecke. Niemand wisse etwa, ob die Produktion nicht sehr viel mehr Energie verbrauche als bestehende Prozesse. Einen Zeitplan wollte er ausdrücklich nicht nennen. Weder über den Bau einer Fabrik noch über den Bedarf zusätzlicher Energie gebe es derzeit Gespräche mit der Regierung von Québec, so Vella. „Ganz einfach, weil es dafür zu früh ist.“

Tatsächlich ist Elysis auch ungeachtet großzügiger Forschungsgelder der Regierungen von Kanada und der Provinz Québec bisher nicht dem Status des Forschungsprojekts entwachsen. Eine erste Aluminium-Produktion aus einer kleinen Pilotanlage ging voriges Jahr komplett an Apple für die Produktion von Smartphones der Reihe SE. 

Ein beachtlicher Fortschritt – im Vergleich zu China

Stattdessen wird BMW wohl vor allem jenes Aluminium beziehen können, was Rio Tinto bald aus seiner neuesten AP60-Aluminium-Schmelzanlage gewinnen kann. Die Investitionen sollen 1,1 Milliarden US-Dollar betragen, 113 Millionen Dollar kommen an Subventionen von der Provinz Québec. Bis Ende 2026 sollen insgesamt 134 Wannen mit einer Kapazität von jährlich 220.000 Tonnen in Betrieb sein. Rio Tinto werde so „weiterhin der Nachfrage der Kunden nach Kohlenstoff-armen Aluminium von höchster Qualität entgegenkommen. Die AP60-Technologie soll den CO2-Ausstoß nach Angaben von Rio Tinto auf 1,6 Tonnen pro Tonne produziertem Aluminium halbieren. Das ist gemessen vor allem an dem Ausstoß chinesischer Hütten ein nicht zu verachtender Fortschritt, aber deutlich weniger als die von BMW avisierten 70 Prozent – und erst jene fast 100 Prozent, die mit dem Elysis-Verfahren möglich sein sollen.

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Wann das aber verfügbar sein wird, scheint derzeit auch für die Beteiligten der Region ein großes Rätsel zu sein.

Als BMW und Rio Tinto im Februar ihre Vereinbarung schlossen, jubelte Industrieminister François-Philippe Champagne: „Diese spannende Partnerschaft zwischen BMW und Rio Tinto ist ein Beweis dafür, dass Kanada gut aufgestellt ist, um die wirtschaftlichen Vorteile der ‚Clean Economy‘ zu nutzen. Ich bin stolz darauf, dass kohlenstoffarmes kanadisches Aluminium in den Fahrzeugen von BMW zum Einsatz kommen wird.“

Diese Woche nun legte Québecs Premier François Legault nach: „Mit der Elysis-Technologie, die kommen wird, will Québec Welt-Champion bei grünem Aluminium werden.“

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Konkreter wird es nicht. Rio Tinto kündigte zuletzt per Pressemitteilung an, dass das Unternehmen „mit den Regierungen von Kanada und Québec auf die Ansiedlung der Elysis-Null-Kohlenstoff-Aluminiumschmelztechnologie an seinen Standorten Saguenay-Lac-Saint-Jean hinarbeitet. Der „Entwicklungspfad“ ziele auf auf eine Installierung ab 2024 sowie auf die Produktion von „größeren Volumen“ zwei Jahre später. Auf Nachfrage räumte BMW ein, die Technologie befinde sich „noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase, so dass die verfügbaren Mengen derzeit gering sind“. Sie würden „mit der Zeit steigen“. Allerdings: „Über den genauen Anteil der Beimischung können wir leider keine Auskunft geben.“  Rio Tintos sucht derweil nach einem neuen Chef für die Aluminium-Sparte. Ivan Vella, der Elysis skeptisch beäugt, verlässt das Unternehmen im Dezember. 

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