Wirtschaft von oben #222 – Uran aus dem Niger Hier braut sich das nächste Energieproblem für Europa zusammen

Quelle: LiveEO/Sentinel

Der französische Atomkonzern Orano besitzt drei riesige Uranminen im Niger. Darunter das zweitgrößte Vorkommen der Welt. Der Putsch im Land wird die Lieferungen nun wohl kappen. Satellitenbilder zeigen, was auf dem Spiel steht. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Als sich Ende Juli in der Wüstenrepublik Niger das Militär an die Macht putschte, bescherte es auch der europäischen Energiewirtschaft ein neues Problem. Laut EU-Atombehörde Euratom stammte 2022 mehr als ein Viertel des in die EU importierten Urans aus dem afrikanischen Land. Europas Atomkraftwerke brauchen das spaltbare Metall als Brennstoff.

Besonders Frankreich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv im Niger, am südlichen Rand der Sahara, engagiert. Dem staatlichen französischen Atomkonzern Orano, der bis 2017 als Areva bekannt war, gehören hier mehrheitlich drei gewaltige Bergwerke. Zwar fördert davon heute nur eines Uran, doch neueste Satellitenbilder von LiveEO zeigen, wie massiv in den vergangenen Jahren in die Minen investiert wurde.

Die neuen Machthaber im Niger hatten kaum angekündigt, ab sofort sämtliche Exporte von Uran nach Frankreich zu stoppen, da beschwichtigte das Außenministerium in Paris schon: „Was Uran angeht, haben wir extrem diverse Lieferketten, und der Niger macht nur vier Prozent der globalen Produktion aus.“ Kein Franzose soll sich sorgen, dass die Atomkraftwerke, die drei Viertel der Stromversorgung im Land sicherstellen, womöglich wegen putschender Militärs stillstehen könnten. Rückstände bei der Wartung und Korosionsprobleme in den Anlagen beschäftigen die Branche schon genug.



Zwar hat die EU-Atomwirtschaft offenbar noch Uran für etwa drei Jahre eingelagert. Doch für die europäische Stromversorgung ist die Lage aufgrund des Putsches mittelfristig brisant. Schließlich will und muss man sich zurzeit auch unabhängig machen von russischen Lieferungen. Russland steuerte 2021 immerhin 20 Prozent zu den Uranimporten bei, was die Kriegskasse in Moskau um eine halbe Milliarde Euro füllte. Damit steht mit dem Niger zusammen nun hinter knapp der Hälfte der Einfuhren nuklearen Brennmaterials ein Fragezeichen.

Auch Orano beeilte sich, die Lage kleinzureden. Die Mitarbeiter in der nigrischen Hauptstadt Niamey arbeiteten vorerst im Homeoffice, hieß es. An der Mine nördlich der Zwillingsstädte Arlit und Akokan, die näher an Algerien liegen als an der Hauptstadt, gehe alles seinen gewohnten Gang. Man habe einen Krisenstab gebildet, um die Sicherheit der Beschäftigten zu gewährleisten.

Dieses Bergwerk ist zurzeit das einzige im Land, das Uran fördert. Erst im Mai hatte die jetzt gewaltsam aus dem Amt getriebene Regierung mit den Franzosen noch eine Verlängerung bis ins Jahr 2040 vereinbart. Orano hält 63,4 Prozent an der Betreibergesellschaft Somair, was für Société des Mines de l’Air steht. Die übrigen Anteile gehören dem nigrischen Staat.


Die Uranmine von Somair ist die älteste im Land. Neueste Satellitenbilder zeigen, wie massiv sie in den vergangenen Jahren erweitert wurde. Inzwischen hat Orano hier eine zehn Kilometer lange und fünf Kilometer breite Fläche umgepflügt. Nun besteht das Areal aus riesigen Bergen von Abraum und bis zu 90 Meter tiefen Tagebaugruben. Das Uran steckt hier vor allem in weichem Sandstein, der leicht zu verarbeiten ist. Zuletzt produzierte die Mine etwa 2000 Tonnen Uran pro Jahr.

Der Minenbetreiber Somair ist Schwierigkeiten gewohnt. 2010 wurden mehrere Mitarbeiter gekidnappt, teilweise erst Jahre später wieder frei gelassen. Und 2013 explodierte eine Autobombe bei einem Terroranschlag.

Im Laufe der Jahrzehnte hat Orano rund um Arlit und Akokan um die 140.000 Tonnen Uran gefördert. Nun setzt der Konzern aber auch auf eine 80 Kilometer südlich gelegene neue Mine große Hoffnungen. Der Erzkörper des Imouraren-Bergwerks gilt als zweitgrößtes Uranvorkommen der Welt. Im Konzern nennt man die Anlage deswegen auch eine „Jahrhundertmine“. Satellitenaufnahmen zeigen zwar, dass sie hier nach 2010 schnell errichtet wurde. Seit dem herrscht aber deutlich sichtbar Stillstand.


Der Abbau war 2015 zunächst als unrentabel eingestuft worden, nachdem der Preis für Uran infolge der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima eingebrochen war. Statt das Erz im Tagebau zu gewinnen, was kostengünstiger wäre, aber große Mengen an Abraum mit radioaktiven Zerfallsprodukten und hochgiftigem Blei mit an die Oberfläche bringen würde, favorisierte Orano nun offenbar das so genannte In-situ-Verfahren. Dabei wird eine Chemikalie in der Tiefe ins Gestein gepumpt, um das Uran herauszulösen. Eine Methode, die schon zu DDR-Zeiten in der Sächsischen Schweiz beim Uranabbau verwendet wurde. Dafür bräuchte es bei Imouraren weniger Personal und auch weniger Sicherheitsmaßnahmen.

Geht die Mine in Betrieb, wäre sie beinahe dreimal so groß wie das Vorkommen der 2021 dichtgemachten Cominak-Mine südlich von Akokan. Orano könnte sie mehr als 40 Jahre lang ausbeuten – mit jeweils 5000 Tonnen Uran pro Jahr. Nun aber ist unter der Militärjunta völlig unklar, ob das Bergwerk überhaupt jemals an den Start gehen kann.

Groll gegen die französischen Minenbetreiber gab es seit geraumer Zeit. Nachdem Orano 2021 die Cominak-Mine geschlossen hatte, ließen die Franzosen rund 20 Millionen Tonnen Abraum auf rund 120 Hektar Fläche und auf bis zu 35 Meter hohen Halden zurück. Das schürte bei der lokalen Bevölkerung Sorge um ihre Gesundheit. Orano erklärte sich bereit, den Abfall platt zu walzen und unter einer zwei Meter dicken Schicht aus wasserdichtem Ton und Sandstein zu vergraben. Die Arbeiten sollten zehn Jahre dauern. Auch sollten Luft- und Wasserqualität mindestens fünf Jahre lang gemessen werden. Nach Angaben von Orano ist die radioaktive Belastung des Abraums aber äußerst gering.


Kritiker zweifeln an der Darstellung und fürchten, dass Radioaktivität durch Risse austreten könnte. Die französische Kommission für unabhängige Forschung und Information über Strahlung (CRIIRAD) sprach von einem „Damoklesschwert“, das über der Wasserversorgung der rund 177.000 in der Region lebenden Menschen hänge. Bereits nach Messungen 2009 hatte die Organisation moniert, dass die radioaktive Belastung weit über internationalen Grenzwerten liege.

Orano, beziehungsweise damals noch Areva, hatte in den 1970er-Jahren mit dem Abbau der Uranvorkommen im Niger begonnen. Der Zugang zu den Rohstoffen war eine Bedingung, unter der Frankreich die frühere Kolonie 1960 in die Unabhängigkeit entließ. War Arlit zu Beginn noch eine Ansammlung weniger Hütten, änderte sich das nach der Ölkrise von 1973 und Frankreichs Entscheidung für die Kernenergie sehr schnell. Heute ist es eine Stadt.

Inzwischen hat aber nicht nur Frankreich ein Interesse am Uran im Niger. Orano erwartet, dass der weltweite Bedarf an dem Metall zwischen 2021 und 2030 um rund 27 Prozent steigt – aufgrund der höheren Nachfrage nach klimaneutraler Energie. Vor allem China braucht in den nächsten Jahrzehnten dafür gewaltige Mengen spaltbares Material. 

Das Land hatte deshalb 2009 mit dem Bau der Somina-Mine in der Nähe des Ortes Azelik begonnen. 2010 startete diese zwar mit der Produktion, musste sie aber fünf Jahre später wieder einstellen. Die Marktbedingungen waren nach der Fukushima-Katastrophe auch für dieses Bergwerk zu schlecht. Seitdem ruht die Förderung. Allerdings hat der staatliche chinesische Kraftwerksbetreiber CNNC in den vergangenen Wochen offiziellen nigrischen Angaben zufolge Untersuchungen angestellt, um die Produktion wieder anlaufen zu lassen. Das dürfte unter den neuen politischen Bedingungen ein Stück schwieriger geworden sein.

Dass in der Somina-Mine derzeit nicht viel passiert, zeigen auch aktuelle Satellitenbilder. Bis 2015 gab es hier sehr viel Veränderung. Danach ist beispielsweise an den Abraumhalden praktisch nichts mehr geschehen.


Somina sollte ursprünglich 2015 eine Produktion von ungefähr 2000 Tonnen Uran pro Jahr erreichen – 2020 gar 4000 Tonnen. 62 Prozent der Mine gehören einem chinesischen Konsortium geführt von der China National Nuclear Corporation (CNNC), 33 Prozent dem nigrischen Staat und fünf Prozent koreanischen Energieversorgern.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob China einen besseren Draht zu den Putschisten im Niger aufbauen kann als Frankreich und die EU. Das afrikanische Land ist bis heute eines der ärmsten der Welt. Auch das ein Grund für den Zorn auf den aus dem Amt geputschten Präsidenten Mohamed Bazoum, der als Frankreich- und EU-freundlich gilt. 

Einspringen sollen nun Kanada, wo Orano ebenfalls eine Mine betreibt, und das zentralasiatische Land Kasachstan. Die ehemalige Sowjetrepublik, die heute weltweit als wichtigster Uranproduzent gilt, hat den Niger im vergangenen Jahr schon als größten Lieferanten der EU abgelöst. Selbst wenn es am Anteil der Importe aus dem Niger nichts geändert hat.

Orano besitzt in Kasachstan seit den 90er-Jahren eine Mine, in der Mujunkum-Wüste. Das heute aus zwei Teilen bestehende Bergwerk der Orano-Beteiligung Katco gilt als größte In-situ-Mine der Welt, kann etwa 4000 Tonnen Uran im Jahr fördern. Satellitenbilder zeigen, dass Orano auch dieses Bergwerk in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut hat.


Doch im Niger bekommt der staatliche französische Konzern offenbar einmalige Konditionen: Die Nachrichtenagentur Reuters erhielt 2014 Einsicht in Dokumente, denen zufolge die Franzosen keine Exportzölle auf Uran bezahlen mussten, keinerlei Steuern auf Material und Geräte, die in den Minen zum Einsatz kamen. Die Abgaben betrugen demnach lediglich 5,5 Prozent. In Kanada wurden damals bereits 13 Prozent fällig, in Kasachstan 18,5 Prozent.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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