Wirtschaft von oben #224 – Guyana Hier setzt ein kleines Amazonasland auf Öl und gerät in Konflikt mit Venezuela

An der Mündung des Flusses Demerara neben Guyanas Hauptstadt Georgetown hat ExxonMobil eine Insel aufgeschüttet, von der das Unternehmen die Offshore-Plattformen versorgt. Quelle: LiveEO/Planet Labs PBC SkySat

Während Ölkonzerne in Europa ökologische Verantwortung predigen, bauen sie andernorts das Geschäft mit dem fossilen Energieträger massiv aus. Guyana soll von den Ölexplorationen von ExxonMobil profitieren. Exklusive Satellitenbilder zeigen, wie der US-Konzern das Geschäft in dem kleinen Amazonasstaat massiv ausrollt. Doch jetzt wärmt Venezuela einen jahrhundertalten Konflikt wieder auf – und erhebt Besitzansprüche. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Alte Holzhäuser aus der Kolonialzeit weichen in Georgetown modernen Bauten aus Glas, Stahl und Beton. Arbeiter ziehen vierspurige Autobahnen, normalerweise eher Schotterpisten, durch die Landschaft. Ganz im Osten soll ein Tiefseehafen gebaut werden. Guyana verändert sich. Der Hauptgrund dafür liegt mehr als hundert Kilometer entfernt tief unter Wasser im Boden des Atlantiks: Es ist Öl.

Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen, wie ExxonMobil sich vorbereitet auf die große Extraktion in dem kleinen Amazonasland. Die einen, der US-Konzern Exxon und die Regierung Guyanas sagen: Das ist gut, die Vorkommen weit vor der Küste bringen Jobs und Einnahmen für den Staat. Die anderen, die Opposition und manche Juristen, sagen: Das ist schlecht, Exxon kann praktisch unkontrolliert agieren, Guyana hat am Ende nichts davon.


Während Ölkonzerne in Europa ökologische Verantwortung predigen, bauen sie andernorts das Geschäft mit dem fossilen Energieträger massiv aus. Guyana soll von den Ölexplorationen von Exxon profitieren. Das Land mit gut 800.000 Einwohnern, eingehegt zwischen den Staaten Venezuela und Brasilien, könnte zum viertgrößten Offshore-Ölproduzenten der Welt aufsteigen. Ist das nun Fluch oder Segen?

Am vergangenen Sonntag ist jedenfalls ein Problem hinzugekommen, das den Aufstieg massiv bremsen könnte: ein jahrhundertealter Grenzkonflikt mit Venezuela, neu entfacht. In einer Volksabstimmung unterstützte ein großer Teil der Venezolaner nach Angaben der autoritären Regierung in Caracas den Anspruch des Landes auf die rohstoffreiche Region Essequibo. Sie macht fast zwei Drittel des Staatsgebiets Guyanas aus und umfasst auch große Teile der Exxon-Ölvorkommen. Diese sind der Grund, warum sich Venezuela nach Jahrzehnten wieder für das Gebiet interessiert.

Die derzeitigen Grenzen des Gebiets wurden 1899 in einem Schiedsspruch eines Tribunals in Paris festgelegt, den die USA und Großbritannien veranlasst hatten. Venezuela beruft sich auf ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich von 1966, geschlossen, kurz bevor die damalige Kolonie Britisch-Guayana unabhängig wurde.

In dem Referendum am Sonntag bejahten knapp 96 Prozent der Teilnehmer die Frage, ob ein neuer Bundesstaat namens Guayana Esequiba geschaffen und die dortige Bevölkerung die venezolanische Staatsbürgerschaft bekommen soll. Guyanas Regierung bezeichnete das Referendum als Bedrohung seiner Sicherheit und des Friedens. Der Streit im Norden Südamerikas könnte sich zu einer internationalen Krise weit über die Region hinaus ausweiten, bis hin zu einer militärischen Abschreckung, wenn die USA auf die Provokation Venezuelas, selbst wiederum ein Verbündeter der Regime im Iran und in Russland, eingehen.


An der Mündung des Demerara-Flusses, der entlang der Hauptstadt Georgetown ins Meer führt, haben Arbeiter in den vergangenen Monaten eine Insel aufgeschüttet, die als Ausgangsstation für die Versorgungsschiffe und Tanker und als Verbindung ins Landesinnere fungieren soll. Denn dort errichtet Exxon bereits Werke, um das Öl zu verarbeiten.

Der Konzern betreibt bereits mehr als ein Dutzend Offshore-Ölfelder, die zu Guyana gehören. Eines davon hat einen geschätzten Wert von mehr als 40 Milliarden US-Dollar. Die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID geht davon aus, dass die Ölfelder Guyana insgesamt jährliche Einnahmen von rund zehn Milliarden Dollar sichern. Guyana könnte bald gar Exxons Produktion im Permischen Becken von Texas übersteigen.

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Bessere Straßen und Häuser könnten ein Indiz für mehr Wohlstand in Guyana sein. Kritiker fürchten jedoch, dass dieser Aufbruch nur eine neue Art des Kolonialismus ist, ein Mittel, um die Ressourcen des Landes abzuschöpfen und außer Landes zu schaffen. Was die Menschen Guayanas am Ende davon haben werden, ist fraglich. Der Oppositionsführer Audrey Norton etwa sagt, er habe die Sorge, das Öl verschärfe die ethnischen Konflikte und die Einkommensunterschiede in dem Land weiter.

Sicher ist: Der Ölboom bringt Jobs, die meist besser bezahlt sind als die oftmals instabilen Arbeitsverhältnisse im tertiären Sektor. Die technisch besonders anspruchsvollen Jobs bei der Ölgewinnung übernehmen hingegen vor allem Ausländer, weil es in Guyana an entsprechend ausgebildeten Fachkräften und Ingenieuren fehlt.

Wie sehr die Abhängigkeit von ausländischen Firmen tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung durch das Ölgeschäft lähmt, lässt sich in Venezuela seit Jahrzehnten beobachten. Trotz des großen Ölreichtums liegt das Land wirtschaftlich und sozial danieder. Die Inflationsraten sind seit Jahren enorm.

Das Interesse für Guyana hat viel mit Venezuela zu tun: Als Venezuela 2008 das Ölgeschäft zu großen Teilen verstaatlichte und viele der Multinationalen aus dem Land warf, orientierten sich Exxon und Shell, die bereits seit Jahren Erkundungserlaubnisse praktisch ungenutzt gelassen hatten, plötzlich um. Aber erst 2015 fand Exxon Öl. Shell war zu diesem Zeitpunkt bereits ausgestiegen.


Somit hat das Konsortium aus Exxon, einem weiteren US-Unternehmen und einer chinesischen Firma, das das Öl nun an die Oberfläche pumpt, quasi freie Bahn. Am Flughafen Ogle am Stadtrand von Georgetown hat Exxon eine neue Zentrale gebaut. Die Satellitenbilder zeigen, wie das 15 Hektar große Gelände im vergangenen Jahr bebaut wurde und die Hauptgebäude entstanden sind.

Vincent Adams kritisiert, dass die Bahn für Exxon zu frei sei. Der Ölingenieur aus Guyana, der viele Jahre für das US-Energieministerium arbeitete, sagte dem Onlineportal „The Intercept“: „Als ich in den Vereinigten Staaten gearbeitet habe, hatten wir rund um die Uhr Leute auf den Offshore-Plattformen der Ölunternehmen.“ Der Grund: In 99 Prozent der Fälle sei „das, was sie dir sagen, was da draußen passiert, nicht das, was tatsächlich passiert“.

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Als Adams den Job als Chef von Guyanas Aufsichtsbehörde übernahm, wollte er diese Praxis auch auf den Exxon-Schiffen vor seiner heimischen Küste einführen. Doch die sei gekippt worden, sagte Adams. De facto finde kein Monitoring statt, weil Exxon dies nicht wolle. Eine Sprecherin von Exxon teilte „The Intercept“ mit, stets alle Gesetze eingehalten zu haben.

Hinweis: Dieser Artikel ist erstmals am 19. August 2023 erschienen. Wir haben ihn aktualisiert.

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