Geldpolitik Der Bundesrechnungshof warnt vor Verlusten der Bundesbank

Auch Joachim Nagel, Präsident der Bundesbank, steht in der Kritik Quelle: imago images

Der Bundesrechnungshof kritisiert, die Bundesregierung habe der EZB beim Kauf von Staatsanleihen nicht auf die Finger geschaut. Jetzt drohen der Bundesbank Verluste – und Steuerzahlern milliardenschwere Belastungen.    

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Wann immer sich die Notenbanker der Europäischen Zentralbank (EZB) treffen, um über die Leitzinsen zu beraten, ist ihnen die Aufmerksamkeit der Investoren und Medien gewiss. Von so viel Publicity können die Beamten des Bundesrechnungshofs nur träumen. Anders als mit den Zinsentscheidungen der EZB lässt sich mit den Voten der Rechnungsprüfer kein Geld verdienen. Dabei dreht sich auch in der Bonner Behörde alles ums Geld. Genauer gesagt: um das Geld der Steuerzahler. Denn die Aufgabe des Rechnungshofes ist es, die Haushaltsführung des Bundes auf Wirtschaftlichkeit zu prüfen, damit kein Steuergeld verschwendet wird.

Weil die Bonner Behörde der Bundesregierung keine Weisungen erteilen kann, gehen die Politiker nach Vorlage der Berichte durch die Rechnungsprüfer gern zur Tagesordnung über. So wie aktuell im Fall des Berichts des Bundesrechnungshofs an den Haushaltsausschuss des Bundestages, in dem die Rechnungsprüfer das Bundesfinanzministeriums (BMF) kritisieren, weil es den Aufforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur stärkeren Kontrolle der Entscheidungen der EZB bisher nicht hinreichend gefolgt ist.  

Im Mai 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB kritisiert, die Bundesregierung und der Bundestag hätten ihre Integrationsverantwortung nicht ausreichend wahrgenommen. Diese verpflichtet die Regierung und das Parlament, die Entscheidungen der EZB auf deren Rechtmäßigkeit und deren Folgen für den Bundeshaushalt zu bewerten und bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen der EZB aktiv entgegenzuwirken. Konkret ging es bei dem Urteil des Verfassungsgerichts um Klagen gegen die Anleihekäufe der EZB, durch die die Kläger das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verletzt sahen.    

Das Finanzministerium hat die Hände in den Schoß gelegt

Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil Kriterien für die Anleihekäufe der EZB aufgestellt, die sicherstellen sollen, dass es sich dabei nicht um monetäre Staatsfinanzierung handelt. Demnach darf die EZB nicht mehr als 33 Prozent der Anleiheemission eines Landes erwerben. Zudem muss sie sich bei der Länder-Zusammensetzung ihrer Käufe am Anteil der Länder am EZB-Kapital orientieren. Außerdem müssen die Notenbanker die Anleihen wieder abstoßen, sobald der Grund für die Käufe – das Unterschreiten des Inflationsziels – entfällt.   

Der Bundesrechnungshof kommt in seinem Bericht zu dem Ergebnis, dass die Bundesregierung, vertreten durch das Finanzministerium, die Hände in den Schoß gelegt hat, statt der Aufforderung der Verfassungsrichter nachzukommen, die Entscheidungen der EZB kritisch zu analysieren. Das BMF verfüge noch nicht einmal über Informationen, ob die EZB die vom EuGH aufgestellte Obergrenze von 33 Prozent für den Kauf einer Emission einhalte. Auch das Ausmaß, in dem das Eurosystem Anleihen einzelner Emissionen hält, sei dem BMF nicht bekannt, monieren die Rechnungsprüfer.

Statt sich die Informationen zu beschaffen und eigene Analysen anzufertigen, habe sich das BMF lediglich von der Bundesbank bestätigen lassen, dass die Anleihekäufe rechtlich in Ordnung seien, kritisieren die Rechnungsprüfer. Das aber reiche nicht aus. Das BMF dürfe diese Bewertung „nicht der Bundesbank überlassen, die Bestandteil des Eurosystems ist“, heißt es in dem Bericht. Ohne eigene inhaltliche Bewertung der Anleihekäufe durch das BMF „kann eine etwaige offensichtliche Kompetenzüberschreitung der EZB nicht festgestellt werden“.   

Fadenscheinige Begründung

Bei der Prüfung der Anleihekäufe durch das BMF sei zudem eine Gesamtschau nötig, mahnen die Rechnungsprüfer. Bei dieser sei neben dem 2015 aufgelegten Anleihekaufprogramm PSPP auch das im März 2020 gestartete Pandemie-Notfallkaufprogramm (PEPP) zu berücksichtigen. Betrachte man nur das PSPP „könnte dessen Ankaufobergrenze von 33 Prozent leerlaufen, wenn Wertpapiere der gleichen Emission auch aus anderen Programmen heraus gekauft werden“, heißt es in dem Bericht des Rechnungshofs.



Mittlerweile hat die EZB die Nettokäufe sowohl beim PSPP als auch beim PEPP eingestellt. Allerdings ersetzt sie beim PEPP mindestens bis Ende 2024 auslaufende Papiere durch den Kauf neuer Papiere. Auf diese Weise will die EZB  den „pandemiebedingten Risiken für den geldpolitischen Transmissionsmechanismus“ entgegenwirken. Das aber ist eine fadenscheinige Begründung. Denn von der Pandemie ist derzeit nicht mehr viel zu sehen, selbst die Weltgesundheitsorganisation hat den Corona-Notstand Anfang Mai für beendet erklärt.   

Insgesamt sei nicht nachvollziehbar, dass das BMF nicht genauer prüfe, „ab wann die Ankaufprogramme in der Gesamtschau das Verbot der monetären Staatsfinanzierung offensichtlich nicht mehr gewährleisten“, kritisiert der Rechnungshof.

Der Bundesbank drohen hohe Verluste

Heftige Kritik der Rechnungsprüfer hagelt es auch, weil das Finanzministerium es bisher nicht für nötig gehalten hat, die Auswirkungen der Anleihekäufe auf die Bundesbankbilanz und in der Folge auf den Bundeshaushalt zu prüfen. Tatsächlich gerät die Bilanz der Bundesbank wegen der Zinswende immer stärker in die Schieflage. Während die von der Bundesbank in den vergangenen Jahren erworbenen Anleihen keine nennenswerte Rendite abwerfen, sind die Zinsen, die die Bundesbank auf die bei ihr geparkten Einlagen der Geschäftsbanken zahlt, kräftig gestiegen. Aktuell beträgt der Einlagenzins 3,5 Prozent. Im vergangenen Jahr musste die Bundesbank daher auf ihre Wagnisrückstellungen zurückgreifen, um einen Verlustausweis zu vermeiden.  

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Die Aussicht, dass die Zinsen und mit ihnen die bilanziellen Belastungen der Bundesbank bald wieder sinken, sind angesichts der hartnäckig hohen Inflation gering. Die Bundesbank selbst rechnet damit, dass die „künftigen finanziellen Belastungen erheblich sein dürften und einige Jahre andauern“. Bereits im nächsten Jahr werden sie die finanziellen Puffer in der Bilanz wohl übersteigen. Dann muss die Bundesbank Verlustvorträge bilden und diese später mit Gewinnen verrechnen. Der Bundeshaushalt wird daher auf längere Zeit keine Gewinnüberweisungen von der Bundesbank erhalten. Die Bundesregierung könnte rechtlich sogar verpflichtet sein, Kapital in die Bundesbank nachzuschießen, um deren Funktionsfähigkeit zu sichern, warnen die Rechnungsprüfer.  

Schneller schlau: Diese Bilanzbegriffe sollten Sie kennen

Kein Zugriff auf wichtige Unterlagen

Das Finanzministerium argumentiert, die Bundesbank könne auch mit negativem Eigenkapital ihre Aufgaben erfüllen und müsse nicht rekapitalisiert werden, solange sie das Vertrauen der Märkte und der Bevölkerung genießt. Die Rechnungsprüfer hingegen kontern, die EZB betrachte die finanzielle Unabhängigkeit als einen Bestandteil der Zentralbank-Unabhängigkeit. Daher erwarte sie, „dass Mitgliedstaaten ihre nationale Zentralbank im Falle niedrigen oder sogar negativen Eigenkapitals innerhalb eines vertretbaren Zeitraums rekapitalisieren“.

Sollte das Eigenkapital der Bundesbank vor dem Hintergrund anhaltender Verluste substanziell im negativen Bereich liegen, sei eine Rekapitalisierung der Bundesbank mit Steuergeldern „kaum zu vermeiden“, warnen die Rechnungsprüfer. Sie fordern das Finanzministerium deshalb auf, die sich aus der Bilanz der Bundesbank ergebenden Risiken für den Bundeshaushalt regelmäßig durch Szenarioanalysen zu evaluieren.  

In ihrem Bericht monieren die Rechnungsprüfer zudem, das Finanzministerium habe ihnen wichtige Unterlagen der EZB, die der Regierung und dem Bundestag zur Verfügung standen, unter Verweis auf das Vertraulichkeitsregime der EZB vorenthalten, obwohl der Rechnungshof rechtlich Anspruch auf Zugang zu diesen Informationen hat. Dadurch habe das Finanzministerium eine lückenlose Finanzkontrolle durch den Rechnungshof behindert.  

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Nun liegt der Ball im Spielfeld von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Er könnte sich von seinen Vorgängern im Amt, Wolfang Schäuble und Olaf Scholz, absetzen und der vom Verfassungsgericht und Rechnungshof angemahnten Integrationsverantwortung der Regierung Rechnung tragen: indem er die Entscheidungen der EZB mit Blick auf deren Folgen für den Bundeshaushalt genauer unter die Lupe nimmt und Stoppschilder aufstellt, sollte die Budgethoheit des Bundestages in Gefahr geraten. Druck auf Lindner kommt auch von der Opposition. So bereitet die AfD-Fraktion im Bundestag aktuell einen Antrag vor, der die Bundesregierung auffordert, die Rechtmäßigkeit der EZB-Anleihekäufe genauer zu prüfen und deren Risiken für den Bundeshaushalt zu bewerten.

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